Foto-Museum Uhingen


Fotohistorische Sammlung G.+ W. Pabst





Herzstücke unserer Sammlung


Die Ur-Leica von 1914

Eine der bekanntesten Kamera-Legenden

Hier möchten wir auch einige Sachverhalte richtigstellen, die fälschlicherweise der Ur-Leica zugeschrieben werden.


2014 wurde unter dem Schlagwort „100 Jahre Leica“ das Jubiläum dieser epochalen Kamera gefeiert, wobei in vielen Kommentaren zu lesen war, dass die Leica die erste „Kleinbildkamera“ gewesen sei, die mit Erfolg gegen die damaligen riesigen Plattenkameras angetreten sei und damit sozusagen den ersten Schritt in die Moderne der Fotografie gemacht hätte.

 

Das klingt gut, trifft aber nicht so ganz zu. Zwar hat der geniale Konstrukteur Oskar Barnack, der von der Firma Zeiss zu Leitz in Wetzlar gekommen war, zwischen 1913 und 1914 einen Kameraprototyp entwickelt, der einen gebräuchlichen Kinofilm benutzte, aber das war weder die erste Kamera, die im Kleinformat arbeitete, noch die erste Kamera, die diesen Kinofilm benutzte.


Oskar Barnack an seinem Arbeitsplatz

(Quelle: © Wohlfahrt, Rainer)


Dieser Film war ursprünglich schon 1895 von Thomas Edison für seine Filmkameras und –projektoren in der klassischen Form entwickelt worden. Dabei kam er auf die Breite von 35 mm durch die Halbierung eines von Kodak produzierten 70mm breiten Rollfilmes. Edison legte dann seine Bilder im Format 18x24 mm quer zum Film zwischen die Perforierung zum Transport des Filmes. Dabei wurde die Perforierung so eingerichtet, dass es genau 4 Löcher pro Bild ergab. Diese Filmbreite wurde meist ohne, aber auch mit der Perforation schon vielfach in vielen Kameras eingesetzt und die ersten Miniaturkameras, die mit Filmbreiten von 16 mm oder darunter arbeiteten erschienen schon vor der Jahrhundertwende, galten aber meist als Spielereien für Amateure mit sehr begrenzter Bildqualität.

Außerdem waren die Plattenkameras zwangsläufig nicht so riesig, wie gerne dargestellt, denn es gab eine große Palette bis zu kleinen Taschenkameras. Und auf der Basis des Kodak-Rollfilms folgten sehr schnell entsprechende Kameras in allen Formaten und Baugrößen.

Die Ur-Leica hatte jedoch einen ganz eigenen Ausgangspunkt. Oskar Barnak war ein begeisterter „Filmer“, der sich aber darüber ärgerte, dass man für anspruchsvolle Aufnahmen immer zuerst Testfime drehen musste, um die richtige Belichtung zu finden (es gab ja noch keine genauere Belichtungsmessung). Und so kam er auf die Idee, Filmstückchen (die ja bei der benutzten Meterware immer leicht zu bekommen waren) in eine kleine Kamera zu stecken, so dass er mit wenigen einzelnen Bildern das gleiche Ergebnis bekommen konnte, wobei sein Prototyp eine feste Verschlusszeit von 1/40 hatte – eben wie in der Filmkamera. Und um ein größeres Bild zu bekommen, legte er es sozusagen längs auf den Film, wobei sich die Breite auf 36 mm verdoppelte und genau 8 Perforationslöchern entsprach. Dadurch hat er auch bewirkt, dass ganze Generationen mit einem viel zu breiten Bild entgegen dem „goldenen Schnitt“ leben mussten (also mit 3:2, statt 4:3 Bildverhältnis).


Die Ur-Leica von 1914 als Nachbau

im Foto-Museum Uhingen

(Foto: Wolfgang Hartwig)

Nachbau der Ur-Leica von 1914

(Foto-Museum Uhingen)

(Foto: Wolfgang Hartwig)


Das Ergebnis fand er so gut, dass er dies auch zu einer regulären Kamera weiterentwickeln wollte und er hatte auch schon einen Namen dafür: er wollte sie „Lilliput“ nennen. Sein Patron, Ernst Leitz, in dessen Haus vor allem hochwertige Mikroskope hergestellt wurden, hatte zwar schon einmal eine Plattenkamera gebaut und angeboten, war aber von der Idee nicht so angetan. Dann kam der Krieg und die Idee wurde erst einmal bis in die 20er Jahre vertagt. 1923 – mitten in der Weltwirtschaftskrise – wurde dann das Barnacksche Konzept wieder aufgegriffen.

So wurde dann 1924 die erste Kleinserie der Leitz-Camera vorgestellt und damit wurde einer der größten Mythen in der Fotografie gestartet. Vor allem deswegen, weil sie den Beweis erbrachte, dass auch dieses kleine Format höchsten Ansprüchen genügen konnte und somit eine Revolution in der Anwendung einleitete. Der Begriff Leica-Fotografie, womit man die universelle Verwendbarkeit an jedem Ort meinte, wurde zum Begriff. Dazu kam ihre teilweise geniale Einfachkeit, ihre Vielseitigkeit durch die Kombination von Schlitzverschluss und Wechseloptiken sowie ihre Präzision und Zuverlässigkeit. Das alles machte sie vor allem zum bevorzugten Handwerkzeug der Profis und ihr Ruhm und die dazugehörigen Legenden bestehen bis heute.

 


Werbung der Fa. Leitz von 1926

(Quelle: Gießener Anzeiger)


Der Original-Prototyp der Ur-Leica (wie man sie allgemein nennt) ruhte immer in einem Safe bei Leitz und wurde nur bei besonderen Gelegenheiten mit weißen Stoffhandschuhen hervorgeholt. Versichert war sie mit 2 Millionen Euro, was aber viel zu wenig sein dürfte, da Exemplare der ersten Serie mit über zwei Millionen versteigert wurden.


Ein sehr seltener Moment:

Die original Ur-Leica wird der Öffentlichkeit gezeigt

(Quelle: ELRECTANGULOENLAMANDO)


Glücklicherweise haben kunstfertige Liebhaber präzise Nachbauten dieses Juwels gemacht und ein solcher findet sich auch in unserem Museum, komplett mit Objektivabdeckung (da der erste Schlitzverschluss beim neuen Spannen offen blieb) und mit dem einfachen, aber ausreichenden Rahmensucher.

 

Eine weitere Legende um die Leica müssen wir hier allerdings auch begraben, nämlich dass die Leica der Durchbruch für die Kleinbildfotografie war. Diese Ehre verdient sich eine andere Kamera in unserer Sammlung – die Retina von Kodak Stuttgart, die zusammen mit ihrer neuen Kassette 1934 die vorher sehr teure Kleinbildfotografie auch für den Normalverbraucher zugänglich machte. Doch das ist eine andere Geschichte, die wir ebenfalls zwischenzeitlich vorgestellt haben ...  (--> siehe hier)

(Textinhalt: Jost Simon)